Erster Tag, hier beginnen (danach zum Weiterlesen immer unten links auf "Neuerer Post" klicken):

Von Cuxhaven nach Otterndorf

Samstag, 11. August 2018

Von Děčín nach Velké Žernoseky

Der Flussfluch ist gebrochen. Nach neun Jahren geht es endlich weiter mit der Elbe.

Ein großes gelbes Schloss, Sandstein, eine große Elbbrücke und ein schicksalhafter Bahnhof - das ist Děčín. Wegen der Lage im Tal an der Grenze errichteten hier schon die alten Přemyslíden-Könige eine Festung. Heutzutage gibt es hier abenteuerlustige Touristen in Paddelbooten, aber leider auch einiges an Kriminalität.

Heute morgen fuhren wir früh los und konnten es kaum glauben, als wir mit dem Auto ankamen und tatsächlich schon um 13 Uhr abfahrbereit am Děčíner Bahnhof standen.
An der Abfahrtstafel steht noch derselbe Zug dran wie vor neun Jahren. Der muss ja ganz schön Verspätung haben...

Nun konnte uns nichts mehr aufhalten, schon gar nicht Kleinigkeiten wie die Suche nach dem Weg über den Fluss (einfach die Oma da fragen) oder kurze Regengüsse (unter die Brücke stellen). Wir wollten nach der Anreise gleich noch 42 Kilometer fahren.

Der tschechische Elberadweg trägt die Nummer 2. Das sollte man sich merken, denn teilweise steht nur die Nummer auf dem Schild. Auf den großen Schildern hingegen ist auch das Logo mit dem verschnörkelten e, das wir aus Deutschland kennen, eingebettet.
Auch alle Bäche, die in die Elbe münden, sind akkurat beschriftet.
Noch ein paar allgemeine Infos übers Radeln in diesem Land habe ich hier zusammengefasst: Radfahren in Tschechien

Was in den letzten neun Jahren hier mit EU-Fördermitteln aufgebaut wurde, ist, gelinde gesagt, absolut großartig und besser als viele Abschnitte des deutschen Elberadwegs. Fast durchgehender Radweg am Ufer, Schilder und Hinweistafeln zu den Sehenswürdigkeiten (meist Burgruinen) überall, Rastplätze und Kiosks, wo Softeis, Kofola (tschechische Cola) und das lokale Bier aus Březno angeboten werden. ("Hey, das kenn ich aus dem Netto.") Bei der Fabrik in Březno hat es überall nach Bier gerochen.
Uns kamen viele deutsche und tschechische Radler entgegen - immerhin sind wir in die eher unübliche Richtung auf dem Elberadweg (Labská Stezka) unterwegs.

Hinter Děčín verschwindet der Sandstein des Böhmischen Paradieses, die Berge werden kurz etwas niedriger. Jedoch nur, um dann von anderen Bergen mit anderem Gestein abgelöst zu werden: Dem Böhmischen Mittelgebirge (České Středohoří), das zu großen Teilen vulkanischen Ursprungs ist.
Durch den extrem heißen, trockenen Sommer ist der Wasserstand der Elbe so niedrig, das in Sachsen und Sachsen-Anhalt Munition aus dem zweiten Weltkrieg wieder an die Oberfläche gelangt ist - und sogenannte Hungersteine, auf die früher in extremen Dürreperioden "Wenn du das liest, dann weine" und ähnliche erfreuliche Botschaften gemeißelt worden waren.
Wir haben die Dürre vor allem durch die vielen vertrockneten Bäume auf den Felsen bemerkt - vielerorts sahen die Wälder aus wie im Oktober.

Im Mittelgebirge gibt es allerdings auch eine Menge Industrie, Bergbau, Wohnblocks und rot-weiße Schornsteine. (Die letzten beiden Dinge sind typisch tschechisch.) Wir nähern uns der Großstadt Ústí nad Labem (eingedeutscht Aussig an der Elbe).
An beiden Ufern führen Hauptstraßen und Bahngleise entlang (im Westen die Schnellzüge, am Ostufer die Bummelbahnen). Nur der Radweg beschränkt sich aufs Ostufer.

Ústí ist das Frankfurt Tschechiens: Es gibt ein kleineres im Osten und ein größeres im Westen, beide werden anhand ihrer Flüsse unterschieden: Das im Osten heißt Ústí nad Orlicí (an der Adler) und das im Westen heißt Ústí nad Labem (an der Elbe). Denn die Elbe heißt hierzulande ja schließlich Labe.
Das Wasser war so niedrig, dass nur wenige Schiffe verkehrten. Womöglich hätte ich nach drüben waten können.

Wirklich schön ist die Stadt jetzt nicht, ein modernes, etwas schäbiges Durcheinander, durch das Busse mit Oberleitungen fahren. Einige Wohnhäuser mit Stuck erinnerten mich an Berlin. Wir konnten die Stadt auch von drüben ganz gut sehen und sind daher, auch aus Zeitgründen, nicht hineingefahren.
Hübsch ist allerdings die gelbe Burg Vetruše über der Stadt, auf die eine Seilbahn führt.

Vor dem imposanten Masaryk-Stauwehr haben wir das großartige Nationalgericht Svíčková gegessen. Dabei thronte über uns gleich noch eine Burg.

Die Burg Střekov alias Schreckenstein!
Der Umweg nach oben ist selbstverständlich steil und anstrengend.

Die Burg soll so romantisch gewesen sein, dass es viele Künstler wie zum Beispiel Richard Wagner dorthin zog. Romantisch fand ich in erster Line die Aussicht.

Die Burg selbst verströmt hingegen durchaus einen gewissen Grusel und wird ihrem Namen so gerecht.

Ebenfalls ein wenig gruselig fand ich das hier: Ein Freibad mit einer Gefängnismauer drumherum?

In Církice gab ein betrunkener Mann einem herumirrenden Fahrer eines stark verbeulten Autos durchaus sinnvolle Tipps. ("Wennu Vorfahrt gewährn wills, dann bleib nicht erst halb auf der Linie stehen!")
Radfahrer müssen hier zwischen einer Nebenstraße mit starken Steigungen und einer flachen Hauptstraße wählen. Der Abendverkehr war nicht sehr stark, also entschied ich mich für letzteres.

Dann geht es auf einen Radweg, der die Porta Bohemica (Česká Brána) passiert. Hier wird das Felstal sehr eng und ungefähr V-förmig. Auf einem Berg stehen drei Kreuze - entweder aus religiösen Gründen oder einfach weil jemand dachte: Wenn ich da oben bin, mach ich drei Kreuze. Für die Elbe ist dieses Tor der Eingang ins Böhmische Mittelgebirge, für uns hingegen ist es schon der Ausgang.

Brod bedeutet Furt. Dieses Wort stand häufig auf Warnschildern und dem Radweg. Doch in diesem Wahnsinnssommer floss da natürlich nie auch nur ein Tropfen Wasser über den heißen Beton.

Hinter der Porta Bohemica sind die Berge nur noch am Ostufer. Hier wird der angeblich beste Wein Tschechiens angebaut. Und genau dort wollten wir übernachten: In einem Weingut in Velké Žernoseky.

Wir befinden uns im Sudetenland, wo einst viele Deutsche lebten und nach dem Krieg vertrieben wurden. Auf dem Friedhof gibt es viele Grabsteine mit deutschen Namen. Einige Leute hier sind auch heute noch nicht so gut auf Deutsche zu sprechen und grüßen nur tschechische Radler freundlich. Die Unterscheidung ist ja sehr einfach: Deutsche Radler haben normale Klamotten, Tourenräder und Ortlieb-Taschen, während tschechische mit Rennrädern, enger Sportkleidung, Helm und minimalistischem Gepäck (Gürteltasche, sehr flacher Rucksack) ausgerüstet sind.

Das Weingut Žernosecké Vinařství hat sehr hohe, großzügige Zimmer und erinnert an ein Schloss - an das Schloss Lenzen an der brandenburgischen Elbe, in dem wir einst genächtigt haben, um genau zu sein.

Für den Vater ist der Weinkeller das größte Highlight, für den Fünfjährigen hingegen der äußerst unterhaltsam furzende Seifenspender.
In den tiefen kalten Kellern liegen dicke Fässer mit kleinen Öffnungen, die innen nur von sehr schlanken Menschen gereinigt werden können. Weiter hinten kann man mit uralten Flaschen Weinroulette spielen (etwa 1 von 10 ist genießbar) und sich den Kopf an der verschimmelten Decke stoßen.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen