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Von Cuxhaven nach Otterndorf

Mittwoch, 25. November 2020

Ilmenau: Von Hoopte nach Bad Bevensen

Lüneburger Elbnebenfluss #1: Die Ilmenau


Drei Flüsse entspringen im Herzen der Lüneburger Heide und schließen sich südlich von Hamburg der Elbe an. Der längste (und städtischste) ist die Ilmenau, deshalb habe ich zwei Tage für diesen Fluss gebraucht. Aus einer Laune heraus bin ich in die entgegengesetzte Richtung gefahren, also an der Mündung gestartet.

Der offizielle Schlusspunkt des Ilmenau-Radwegs ist die Elbfähre von Hoopte - warum auch immer. Es gibt jetzt nicht wirklich einen Grund, die Fähre zu nutzen, denn auf der anderen Seite ist auch nichts Interessantes und auch kein Bahnhof zum An- oder Abreisen. Wer mit der Bahn kommt, muss entweder am Luhe-Radweg in Winsen oder am Südufer der Elbe in Hamburg-Harburg (was deutlich länger ist) losfahren.
Einen Kilometer hinter der Fähre ergießt sich die Ilmenau in die Elbe. Die Mündung besteht aus einer geraden Spitze mit Gras und Büschen. Hier sieht man direkt: Die Ilmenau ist zunächst sehr gerade, ordentlich und kanalisiert.

Falls eine Sturmflut mal sehr viel Wasser in die Elbe drücken sollte, versiegelt dieses dicke graue Stauwehr den Fluss. So bleiben all die Orte geschützt, die ich nun sehen werde.


Als nächstes bietet die Ilmenau ein paar kleine Hafenbecken für Sportboote. Eine Deichstraße brachte mich zwischen Hafenhütten und Gewächshäusern hindurch.


In der Nähe von Stöckte habe ich den Deich verlassen und die Luhe überquert, die in die Ilmenau mündet.

Die Ilmenau heißt hier eigentlich Ilmenaukanal, denn genau das ist sie auch: eingedeicht, begradigt und schiffbar, wenn auch nur für kleinere Schiffe. Andererseits erstreckt sich hinter dem Deich das Naturschutzgebiet Ilmenau-Luhe-Niederung, wo sich der Fluss einst wild verzweigte. Für die Natur ist also durchaus Platz, nur soll das Wasser da nicht überall unkontrolliert durchfließen. Lediglich ein paar Entwässerungskanäle, die bei Bedarf geöffnet und verschlossen werden können, verbinden den Ilmenaukanal mit den Wiesen dahinter.
Neben dem Deich verläuft ein gerade Weg.

 Etwa 50% des Deichwegs wird aber durch Baustellen blockiert, also entweder erneuert oder gerade erst gebaut... ich weiß es nicht genau. Jedenfalls darf man gerade nicht drauf.

Deshalb bin ich auf den Landstraßen im größeren Bogen durch diverse Dörfer gegurkt. Die Dorfhäuser bestehen zu 60% aus Efeu und zu je 10% aus Schilf, Moos und Backstein.

Nahe der Mündung der Neetze steht ein Nadelwehr aus dem Jahr 1888.

Nadelwehr bedeutet, dass man einzelne Nadeln rausziehen und reinstecken kann, um genau zu regeln, wie viel Wasser durchkommt. Damit das nicht zu friemelig wird, sind das keine kleinen Nähnadeln, sondern so eckige Holzlatten. Ursprünglich sollte das Wehr sicherstellen, dass immer genug Wasser für die Schifffahrt zur Verfügung steht. Auch wenn die Schiffe heute weitgehend auf den Elbe-Seitenkanal ausweichen, kümmert sich nach wie vor ein Wärter um die Nadeln und bewegt sie ganz ohne Strom, denn ein erhaltenes Nadelwehr ist eine echte Seltenheit.

Schafe, Gras, freier Horizont und Küstenwind - das war das norddeutsche Deichland. Ich ahnte bereits, dass sich die Landschaft im Laufe des Tages deutlich verändern würde. Dennoch fühlte ich mich etwas überrumpelt, als mit einem Mal in der Ferne eine dunkelgrüne Masse (ein sogenannter Wald) auftauchte, sich rasend schnell näherte, mich verschluckte und quasi per Wurmloch in die Lüneburger Heide transportierte. Ich fand mich wieder in einem Nadelwald mit Sandboden und beigefarbenem Gras.
(Okay, jemandem aus Bayern würde der Unterschied vielleicht nicht mal auffallen, aber für mich sind das zwei komplett verschiedene Arten von Flachland. Dafür können die ihre Berge da unten besser unterschieden.)

Der erste Ort in der Lüneburger Heide nennt sich Bardowick und hat eine Klappbrücke. Die aktuelle Brücke wurde 1964 gebaut, aber eine hölzerne Zugbrücke stand da schon im Mittelalter - durch die Jahrhunderte der Geschichte Bardowicks zieht sich die Konstante: Brücke hoch, ein Schiff muss durch. Erst der Elbe-Seitenkanal ließ diese Konstante abflauen.
Obwohl die Brücke ganz nüchtern einen pragmatischen Zweck verfolgt (Schiffe müssen durch), war sie Schauplatz religiöser Konflikte. Auf ihr wurde der Missionar Marianus 782 von Aufständischen erschlagen. Ihm wurde später (nachdem die Aufständischen ihrerseits längst erschlagen wurden, nehme ich an) eine Kapelle neben der Brücke errichtet, die Herzog Ernst der Bekenner 1540 abreißen ließ, weil er als Protestant Reliqienverehrung doof fand.

Wohin waren all die Schiffe unter der Brücke denn unterwegs? Ich bin ihrem Weg auf einem Pfad zwischen Fluss und Gewerbegebiet gefolgt.

Die Schiffe wollten alle nach Lüneburg, denn hier gab es Salz. Die Stadt ist aus dem Kloster Lüne, einer Burg (zack, fertig ist der Stadtname) und einer Saline entstanden, und letztere verschaffte der Stadt fast eine Art Monopol in der Hanse. Später musste sich die Stadt auf chemische Industrie und Kurbäder umstellen und die Saline im Jahr 1980 nach 1000 Jahren aufgeben (außer für den Kurbetrieb).

Durch die größte Stadt an der Ilmenau hat fast der ganze große Mittelteil von Niedersachsen den Namen Lüneburger Heide bekommen, auch wenn Lüneburg nur ein winziger Fleck in dieser Landschaft ist.

Dieser Fleck besteht aus bunten Fassaden, Handelshäusern und Backsteintürmen. Einer der Türme gehört zu einer Schifferkirche. Dass diese Kirche speziell den Leuten auf Schiffen gewidmet ist, ist an dem kleinen Kranz zu erkennen, der den Kirchturm kurz vor der Spitze umschließt.
Als ich Lüneburg erreichte, begann es auf die Schifferkirche zu schiffen.

Zwischen all den Ziegelsteinen fließt die Imenau und muss dabei die eine oder andere Wassermühle antreiben.

In diesem Ziegellabyrinth suchte ich den Ausgang aus der Stadt. Stattdessen landete ich am Wasserturm. Weil es immer noch regnete, versteckte ich mich darin vor dem Regen.

Auf der Aussichtsplattform habe ich es bei dem Wetter nicht lange ausgehalten, also schnell eine Etage tiefer. Im Wassermuseum habe ich gelernt, dass der Turm schon wenige Jahre nach seiner Fertigstellung 1907 gar nicht mehr ausreichte, um den Wasserbedarf der Stadt zu stillen. (Deutsche Bauprojekte konnten sich auch damals schon als Fehlschlag erweisen.) Als nächstes lernte ich, dass das Thema Wasserversorgung in Lüneburg schon wenige Informationstafeln später nicht mehr ausreichte, um auch nur den Bedarf einer einzigen Etage des Museums zu stillen. Also steht da noch was über allgemeine globale Wasserknappheit.
Eine Etage tiefer wird der große, ehemalige Wasserbottich eindrucksvoll beleuchtet. Darunter ist noch eine Ausstellung mit Kinderkunst.
Ein Lüneburger Schriftsteller hatte als Kind die grandiose Idee, sich an seinem fiesen Lehrer zu rächen. Er stand unten Schmiere, während sein Schulfreund sich nach oben zum Bottich schlich und... naja. Hinterher fiel dem Jungen auf, dass ja nicht nur der Lehrer, sondern auch alle anderen inklusive ihm selbst dieses Wasser tranken, woraufhin er sich weigerte, zu trinken, und fast verdurstet wäre - bis er zufällig herausfand, dass ein kleines Missverständnis vorlag: Der Mitschüler hatte nur reingespuckt und nichts Schlimmeres.
Das nur mal so an alle, die meinen, die Kinder seien heutzutage viel dümmer als früher.

Hatte der Regen inzwischen nachgelassen? Nein, nach einer Stunde im Wasserturm prasselte immer mehr vom Himmel. Ich wartete in einer Rasthütte im Wald, bis der Regen ein bisschen nachließ, aber aufhören wollte er partout nicht.

Das Heidekraut der Lüneburger Heide hat sich bis in die Vorgärten ausgebreitet. Kein Wunder, es sieht ja auch toll aus. Und so viele verschiedene Farben!

Am Kreisverkehr von Bienenbüttel bin ich falsch abgebogen.

Ich war zwar in die richtige Richtung unterwegs, aber auf dem direkten Radweg an der Hauptstraße. Das war ein durchaus vorteilhaftes Verfahren.

Irgendwann wollte ich dann aber doch zurück zum Fluss. Das ging leider nur auf einem feuchten Feldweg. Unter der nassen Erde verbargen sich alle möglichen spitzen Steine und Ziegel, die irgendjemand einst völlig schief zu einem Weg aufgeschüttet haben muss. Das Ergebnis ist eine höchst holprige Angelegenheit.

An dieser alten Mühle habe ich trotz des Wetters einen Ausflug eingeschoben.

Von der Ilmenau hatte ich bisher noch nicht allzu viel gesehen, da wollte ich mir diese kleine Besonderheit des Flusses nicht entgehen lassen. Ich irrte eine Weile durch ein Netz von Waldwegen, bis ich sie entdeckte.

Die Ilmenau hat hier ein hübsches Steilufer mit Wald drauf. Durch die Bäume ist die Ilmenau nur als grüngrauer Schemen zu erkennen. Ich hatte das Gefühl, ich sei so ungefähr der einzige Mensch in diesem Wald bei solchem Sauwetter. Aber als ich das Steilufer gerade verließ, tauchten doch noch ein paar nasse Wanderer auf und eroberten die trockene Rasthütte.

Das Wetter wurde und wurde nicht besser. Das Regenwasser und der Wasserturm in Lüneburg hatten mich so was von ausgebremst, dass ich keine Chance hatte, noch heute den Anfang der Ilmenau zu erreichen. Als ich den Kurpark von Bad Bevensen durchquerte, war ich schon pitschepatschenass.

Deshalb habe ich in Bad Bevensen aufgehört.
Waren Sie schon mal in Bad Bevensen? Ich schon. Das kam so: Vor einem Jahr saß ich am Bahnhof Uelzen und las in einem Buch namens Slow Travel den folgenden Reisetipp: Heiße Katastrophen willkommen. Dabei vertiefte ich mich so in die Lektüre, dass ich in den falschen Zug umstieg, eine Stunde in Bad Bevensen auf den richtigen warten musste und den Tipp aus dem Buch direkt umsetzen konnte. Das wäre mir an sich gar nicht so schwergefallen, hätte ich nicht versehentlich einer Frau auf Englisch den Weg in den falschen Zug gewiesen ("Is this the train to...?"- "Yes, yes..."), die mich am Bad Bevenser Bahnhof sehr böse anstarrte. Das schlechte Gewissen verdarb mir den Spaß daran, sich das nette weiße Kurstädtchen anzusehen.
Es stimmt: Ohne Katastrohen hätte ich hier häufig viel weniger Interessantes zu schreiben. Aber ich weiß nicht, ob diese Radtour schon eine Katastrophe darstellt. Sie war halt nur nass. Es regnete und regnete und regnete... spannender wird's nicht.

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