Lüneburger Elbnebenfluss #3: Die Seeve
Der dritte Fluss im Bunde ist ein kurzes, kurioses Gewässer der Gegensätze.
Der Seeveradweg ist eigentlich ein Rundweg, und noch eigentlicher sind das drei zusammenhängende Rundwege. Deswegen steht auf den Schildern unter dem blauen S immer Ring 1, Ring 2 oder Ring 3. Ich bin immer nur die Hälfte der Ringe gefahren, und außerdem (wie schon bei der Luhe und Ilmenau) in die andere Richtung als vorgesehen. Bei den Lüneburger Elbnebenflüssen war ich irgendwie in rebellischer Stimmung...
Der Quellgrund der Seeve ist ein stiller Teich im Wald. Wo genau das Wasser heraussprudelt, ist nicht ersichtlich. Nicht die krasseste Quelle, sondern vermutlich die ruhigste.
Die Seeve möchte erst einmal beweisen, dass sie ein echter Heidefluss ist. Deshalb gelangte ich zuerst auf einem echten Lüneburger-Heide-Sandweg durch einen echtes Lüneburger-Heide-Bauerndorf und eine echte Lüneburger Heidefläche. Das Dorf heißt Wehlen, die Heidefläche Wehlener Heide.
Die Karte weist mich extra darauf hin, dass ich mich nicht wundern soll, falls nackte Menschen herumlaufen, denn hier in der Nähe beginnt ein Nacktwanderweg. (So etwas gibt es in Deutschland nur hier und im Harz.) Es hat mich nicht wirklich gewundert, dass den bei ungefähr 4 Grad Lufttemperatur niemand genutzt hat.
Mit ganzjährig 6 bis 8 Grad ist die Seeve nicht viel wärmer. Damit ist sie Norddeutschlands kältester Fluss - nur die eisigen Gletscherflüsse im Süden können die Seeve übertrumpfen.
Der Heideweg führt zur Straße, wo ich den Fluss zum ersten Mal in seiner voller Pracht gesehen habe. Viel größer wird der auch nicht mehr.Die Straße gehört gleichzeitig zum Wümmeradweg. Ein Stück weiter links kreuzt sie ein einsames Regionalbahngleis. Daneben erstreckt sich ein netter kleiner Park, rundherum ein paar Häuser. Diese stille Kreuzung nennt trägt den Namen Handeloh und bietet den nächsten Bahnhof an der Quelle.
Der Leine-Heide-Radweg, ein alter Bekannter aus dem Süden, führt auch durch Holm.
Die Seeve ist nun nicht mehr so kurvig. Sie fließt unter einem Brückenbogen durch, der eine größere Bahnstrecke trägt.
Hittfeld ist einer jeder Orte, wo sich die offizielle Radroute dermaßen kreuz und quer durch das Straßennetz schlängelt, dass ich die Orientierung irgendwann aufgebe, einfach den Schildern folge und hoffe, dass keins verdreht ist oder fehlt. Auf diese Weise bin ich am Pastor-Bode-Teich am Stadtrand rausgekommen, habe ihn umfahren und dann war Hittfeld irgendwann zu Ende. Wurde auch Zeit - langsam begann es zu dämmern und ich wollte noch etwas vom Rest der Strecke sehen.
Im Norden Niedersachsens sind viele Bahnhöfe nach
folgendem Prinzip aufgebaut: Viele Treppen, kein Aufzug, zwei Gleise und
dazwischen ein Bahnsteig, der gefühlt 40 Zentimeter breit ist. Solange
die Leute vom Fahrtwind der Züge nicht weiter als zehn Meter mitgerissen
werden, gilt ein Bahnsteig laut dem niedersächsischen Bauordnungsrecht
als breit genug. Möglicherweise wird da mit neuer Technologie
experimentiert, wie man Menschen mittels Windstößen befördern kann.
Trotzdem gibt es ein paar Gemeinden südlich von Hamburg,
die aus ihren suboptimal aufgebauten versifften Bahnhöfen etwas Tolles
gemacht haben: Bunte Bahnhöfe. Das bedeutet, das komplette Gebäude ist
von innen vollgehängt mit Bildern, damit von den schmierigen
beigefarbenen Fliesen möglichst wenig zu sehen ist.
Der Bahnhof in
Hittfeld wurde von Menschen verschiedenen Alters, insbesondere Jugendlichen, Senioren und Behinderten, zum Thema Seevetal
gestaltet. Das ist ein weites Feld, denn das Seevetal ist sowohl eine
Landschaft als auch eine Gemeinde, zu der auch
Hittfeld gehört. Von Kinderzeichnungen über politische Protestbildern
gegen Umweltzerstörung, Grafitti, Landkarten und Kohlezeichnungen
(glaube ich) bis hin zu richtig echten Landschaftsgemälden ist alles
dabei.
Ganz ehrlich: Für mich
als Laien hatte dieser Bahnhof denselben Mehrwert
wie ein Museumsbesuch. Ich fand ihn auch besser als den Bunten Bahnhof
in Maschen -
selbst wenn pubertierende Kritiker auf einigen der Werke mit Edding
nicht jugendfreie Kunstkritik hinterlassen haben.
Mehrere Autobahnen treffen hier aufeinander und bilden über der Seeve ein Muster aus Autobahnkreuzen. Ich fahre unter insgesamt drei Autobahnen durch.
In Maschen ragt dann ein großer Wall auf. Zunächst ist nicht genau zu erkennen, was sich da oben verbirgt, nur ein rätselhaftes Leuchten und Quietschen dringt durch die Bäume. Sobald die Seeve auf den Wall trifft, verschwindet sie in einem 600 Meter langem Tunnel. Neugierig folgte ich ihr ein Stück...
Auch der Bahnhof Maschen ist ein Bunter Bahnhof, diesmal zum Thema Reisen, allerdings ist er nicht ganz so reichhaltig mit Bildern ausgestattet. Das Wort Reisen assoziieren die Jugendlichen, Senioren und Behinderten von Maschen offenbar vorwiegend mit exotischen afrikanischen Tieren wie Löwen. Der regionale Bezug ist dabei deutlich geringer als beim Thema Seevetal - sollte man zumindest meinen. In Wahrheit haben Löwen aber durchaus ein bisschen was mit der Seeve zu tun.
Als nämlich in den 1970ern der Rangierbahnhof erbaut wurde, musste eine Menge Torf, Sand und Gestein weg. Das wurde mit solchen Maschinen einfach auf die Wiese nebenan geschmissen.
Jahre vergingen, und auf dem trockenen, nährstoffarmen Boden am Ufer des Steller Sees machten es sich Magerrasen, Dornenbüsche und Eisvögel bequem, allerdings (noch) keine Löwen. Eine Marschlandschaft direkt vor Hamburg hatte sich in etwas verwandelt, das der Serengeti ähnelte. Fans des gepflegten Wortspiels müssen dieses Gebiet allein schon wegen seines Namens lieben: Die Seevengeti.
Gleich nebenan liegt noch das Naturschutzgebiet Untere Seeveniederung, das bekannt ist für die Schachbrettblume, die an ihrer Blüte einen natürlichen rechten Winkel aufweist. Deshalb wurde sie vermutlich fast ausgerottet, weil die Menschen das Monopol auf rechte Winkel haben wollten.Zwischen diesen beiden Landschaften bin ich der Seeve auf ihrem niedrigen Deich gefolgt. Am Horizont ist bereits ein deutlich höherer Deich zu erkennen.
Es dauerte noch eine Weile, bis die Seeve endlich auf den großen Deich trifft und darin verschwindet. Auf den letzten Metern wird der Fluss noch mit einem Schöpfwerk zugepfropft. Bei Hochwasser schöpft es das Wasser über den Deich...Die Seeve ist auf nur 40 Kilometern vom Herzen der Lüneburger Heide zum zweitgrößten Rangierbahnhof der Welt bei Hamburg gereist. (Meine Fahrstrecke war etwa 55 Kilometer lang.) In der Nähe von Over heißt es dann in den Worten von Wolfgang Schäuble: "Isch over!"
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